... und in derselben Wochenend-Beilage noch mehr von diesem Gedankengut: Ein Beitrag von Juan Moreno aus der SZ am 19./20.10.2002.
Von mir aus
von Juan Moreno
Ich bin vor zwei Wochen dreißig geworden. Eigentlich sollten es nur wenige erfahren, weil ich keine große Sache daraus machen wollte. Dennoch haben recht viele bei mir angerufen. Ich war geschmeichelt, auch wenn ich glaube, dass es daran lag, dass es immer mehr Mobiltelefone mit Organizer und Alarmfunktion gibt.
Handys leisten einen Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden, sagte ich zu meinem Freund Thorsten, der mich besuchen gekommen war.
Willst du Telekom-Sprecher werden, jetzt, wo sie alle Journalisten rauswerfen, fragte er mich.
Thorsten ist Pessimist und war heute noch schlechter gelaunt als sonst. An diesen Tagen ist er unerträglich, im Vergleich zu einem schlecht gelaunten Thorsten war Schopenhauer ein Li-La- Launebär.
Als wir über die Frankfurter Buchmesse sprachen, sagte mir Thorsten, dass er davon überzeugt sei, dass die Veranstaltung nur deswegen Besucher habe, weil alle hofften, die Gelegenheit zu bekommen, einem Lektor ihren selbst geschriebenen Mist geben zu können, und die wenigen, die zu faul waren, ihr Leben aufzuschreiben und trotzdem da hingingen, versuchten zumindest den Eintritt durch den Diebstahl eines Bildbands zu amortisieren.
Sind wir wieder der Meinung, dass früher alles besser war, fragte ich.
Thorsten kann solche Fragen nicht ausstehen. Schon gar nicht, wenn sie ironisch und im Plural formuliert sind.
Wüsste nicht, was daran verkehrt sein sollte, sagte Thorsten.
Gut, sagte ich, früher war alles besser. Auch die Zukunft?
Es ist nicht ehrlich, antwortete Thorsten. Die rufen dich an, weil auf dem Display steht, heute hat deine Tauftante, dein alter Klassenlehrer oder was weiß ich wer Geburtstag, sie rufen nicht an, weil sie an dich gedacht haben. Oder sagt einer, dass sein Handy ihn erinnert hat, und er dich sonst vergessen hätte?
Nein, das sagt keiner, aber mir ist das recht. Es ist egal, warum jemand anruft.
Ist es nicht, sagte Thorsten. Das Handy unterstützt dieses oberflächliche Verhalten. Es ist wie bei diesen vorgeschriebenen Kurznachrichten. Weißt du, was in meinem als Textoption steht? Neben „Ich komme verspätet“ oder „Wir treffen uns um“ steht allen Ernstes fertig vorgeschrieben „Ich liebe dich“.
Na und, fragte ich.
Willst du eine vorgefertigte Ich-liebe-dich-Kurznachricht haben? Willst du, dass der Mensch, der das Wichtigste sagt, was Menschen einander sagen können, dass dieser Mensch eine vorgeschriebene SMS nutzt, dass er sich nicht die Mühe macht, das selbst zu tippen, sondern dass irgendein japanischer Mobil telefonchip-Informatiker das getippt hat.
Ich wusste nicht, was ich auf die Tiraden erwidern sollte. Mir fiel nur eines der wenigen Gedichte ein, die ich auswendig kann, weil ich mal in der Schule ein Mädchen damit beeindrucken wollte...
Wer möchte diesen Erdenball/
Noch fernerhin betreten/
Wenn wir Bewohner überall/
Die Wahrheit sagen täten.
Ihr hießet uns, wir hießen euch/
Spitzbuben und Halunken/
Wir sagten uns fatales Zeug/
Noch eh’ wir uns betrunken/
Da lob’ ich mir die Höflichkeit/
Das zierliche Betrügen/
Du weißt Bescheid, ich weiß Bescheid/
Und allen macht’s Vergnügen.
Thorsten nickte, schaute mich an und sagte, ein Pessimist ist ein Optimist, der nachgedacht hat.
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