Samstag, 1. Oktober 2011

Think Negative! (der pessimist, 26.10.2002 11:13)

Die deutsche Presselandschaft ist bereits bekehrt . Nicht nur die SZ, nein auch die Zeit (32/2002) verkündet nun in fetten Schlagzeilen ein "Think negative". Eine Initiative, die wir natürlich unterstützen und daher dieses Aktionsprogramm von Radio FFN aus den 90'ern anbieten (sorry für die schlechte Tonqualität).

Think negative
von Tita von Hardenberg
(Die Autorin moderiert das TV-Magazin »Polylux«, jeden Montag um Mitternacht in der ARD)

Wenn ich Jack nicht gehabt hätte, wäre mein Leben sicher ganz anders gelaufen. Jack ist in Amerika ein außerordentlich erfolgreicher Motivationstrainer. Er vermittelt wertvollste Fähigkeiten. Schon nach zwei Kaufkassetten war ich in der Lage, mir meine Miss-erfolge schönzureden, ich wurde immun gegen jede Kritik und empfand eine rückhaltlose Begeisterung für mich selbst. Ein Teufelskerl! Es war ganz einfach: Jeden Morgen und jeden Abend musste ich mir vor dem Spiegel mit einem aufmunternden Lächeln zurufen: »Egal, was die anderen tun oder sagen, ich bin eine wertvolle Person!« Den Satz hat sich Jack selbst ausgedacht. Er hat sich dann wie ein Mantra rasant unter seiner Anhängerschaft verbreitet.

Seit Jahren versorgt er uns nun mit immer neuen Variationen seiner überschaubaren Lehre und klagt dabei nicht über Absatzschwierigkeiten seiner Bücher und Tonträger. Ganz anders seine Kollegen hierzulande. Sie stecken in einer großen Krise, vielen scheint die Lust auf angelernte Lebensfreude vergangen zu sein. Das kann ich nur aufrichtig bedauern. Auch wenn Motivationsgurus wie Höller und Ratelband als tanzende Lachsäcke manchmal etwas merkwürdig wirkten, so haben sie doch Großes geleistet. Es ist ihr Verdienst, dass sich Tausende nörgelige Angestellte von ihren Selbstzweifeln befreiten und dabei ekstatisch auf der Bühne herumhüpften. Sie ließen Bankangestellte »Tschacka!« brüllen, worauf diese aufhörten, mit ihrem Alltag zu hadern. Großartig. Nur leider kostete die Mitarbeiterumpolung fünfstellige Summen pro Seminartag, und die wollen die Firmen jetzt nicht mehr zahlen. Jürgen Höller musste schon Insolvenz anmelden, und manche sagen die gesamte Motivationsbranche tot. Von allen Seiten ergießt sich Spott und Hohn über die gefallenen »think-positive«-Apostel.

Hochkarätige Bedenkenträger wollen es schon immer gewusst haben, dass zu viel Lebensfreude zu gefährlichen seelischen Schäden führt. »Positiv denken macht auf Dauer krank«, lässt sich der Psychotherapeut Günther Scheich mäkelig im »Spiegel« zitieren. Ein Satz, den man sich mal auf der Zunge zergehen lassen muss. Wenn sich diese Denkweise durchsetzt, sehen wir Fortbildungswilligen finsteren Zeiten entgegen. »Was du auch tust - verliere niemals die Nachteile aus den Augen« wird der neue Leitsatz heißen. Und die Seminare für Angestellte heißen zukünftig: »So scheitern Sie mit Anstand.« Wenn das Jack wüsste!

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